Schnäppchenjagd im Internet

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Veröffentlicht am 19 Juni in Nzz amsonntag

Die allgegenwärtige Marktwirtschaft 2.0 erobert den Detailhandel. Zu den Gewinnern im boomenden Online-Handel gehören Firmen, die Produkte mit hohen Rabatten feilbieten und die Mechanismen sozialer Netzwerke für sich nutzen.

Der Schweizer Online-Handel blüht wie nie zuvor: Internet-Shops setzten letztes Jahr 8,7 Mrd. Fr. um, wie die jüngste Studie «Schweizer Online-Handel» der Universität St. Gallen zeigt. Dies entspricht einem Wachstum von fast 50% seit 2008. Zu den Gewinnern zählen auch Anbieter, deren Verkaufsmodelle auf das Web 2.0 und die Facebook-Generation zugeschnitten sind. In diese Social Commerce oder Social Shopping genannte Kategorie gehören diverse Spielarten dieses Modells. Gemein ist ihnen, dass Sie mit massiven Rabatten locken.
Bereits etabliert ist das Club-Shopping, das Mitgliedern Markenprodukte mit einem Rabatt bis zu 80% verkauft. Ein bekannter Anbieter in der Schweiz ist beispielweise Fashionfriends. Der grösse Klub, eboutic.ch aus Lausanne, zählt inzwischen bereits 800 000 Mitglieder, die Mode-Produkte von 300 Top-Labels kaufen können. Angekurbelt wird das Geschäft über die Faktoren Preis, limitierte Stückzahl und das VIP-Gefühl der Klubmitgliedschaft. Anmelden kann sich mittlerweile aber jedermann.
Erfolgreich ist auch Live-Shopping, bei dem ein Produkt in einer beschränkten Stückzahl während 24 Stunden verschachert wird. Das von Anbietern wie Daydeal, QoQa oder schlagzu.ch praktizierte Modell lebt vom Preisanreiz, der Weiterempfehlung durch die Kunden sowie dem live angezeigten Bestand verfügbarer Stückzahlen, die - um es spannend zu machen - nur prozentual angegeben wird.

«Deals» für einen Tag

Während sich Live-Shopping konzeptionell nicht verändert hat, boomt eine neuere Spielart, bei der der Händler nicht mehr Produkte verkauft, sondern Gutscheine für Waren und Dienstleistungen. Die «Deals» genannten, meist auf eine Stadt zugeschnittenen Angebote laufen einen Tag lang und setzen eine Mindestzahl an Käufern voraus. Dies animiert, Freunde via Facebook, Twitter oder E-Mail über das Schnäppchen zu informieren. Der Pionier dieses Geschäftsmodells ist Groupon. 2008 gegründet, machte das US-Unternehmen 2009 bereits 33 Mio $ Umsatz, 2010 waren es mit 760 Mio. $ über zwanzigmal mehr. Die Gutschein- Plattform, die hundertfach kopiert wurde, ist in 44 Ländern aktiv, auch in der Schweiz. Doch hier ist das Unternehmen DeinDeal.ch führend, das vor einem Jahr gegründet wurde und über achtzig Mitarbeiter zählt.
Dein Deal ist anders als seine Konkurrenten Groupon und Daily Deal in vielen Schweizer Städten mit lokalen Angeboten präsent, hat Kunden im sechsstelligen Bereich und erzielt monatlich einen Umsatz von weit mehr als 1 Mio. Fr. Der Erfolg basiert auf dem Prinzip, dass alle Beteiligten gewinnen. Dein-Deal-Gründer und CEO Amir Suissa sagt «Der Käufer profitiert von Rabatten von 50 bis 70%, und für die Geschäfte sind die Deals ein nachhaltiger, profitabler Marketing-und Auslastungs-Kanal.»
Die Website zählt laut Suissa pro Monat über eine halbe Million Unique User und hat in den 14 Monaten seit der Gründung Gutscheine mit einer Rabattsumme von immerhin 24 Mio. Fr. verkauft. Das Unternehmen, das vor allem mit Angeboten in den Bereichen Wellness, Beauty, Gastronomie und Freizeit stark ist, verdient selber 40% von jedem verkauften Gutschein.
Am profitablen Geschäft wollen auch die Internetriesen Google und Facebook teilhaben. Ende des letzten Jahres versuchte Google vergeblich, Groupon für 6 Mrd. $ zu übernehmen, und hat in den USA kürzlich einen eigenen Dienst namens Offers lanciert. Facebook Deals heisst die Initiative, welche die Mutter aller Netzwerke Ende April ebenfalls in den Staaten lanciert hat. In einigen europäischen Ländern hat Facebook bereits einen Service eingeführt, der Handybenützern unterwegs anzeigt, in welchen Shops in der Nähe Gutscheinaktionen laufen (siehe Kasten).

Durch einen Freund empfohlen

Virales Marketing über kommunizierende Kunden wird auch für Online- Shops immer wichtiger, die nicht auf die Rabatt-Ökonomie setzen. E-Commerce-Berater Thomas Lang von Carpathia Consulting ist überzeugt, dass Empfehlungen aus dem Bekanntenkreis als Kaufimpuls wichtiger sind als Werbung oder auf einer Website anonym vergebene Sterne. Diese Einschätzung bestätigt Dominique Locher, Direktor für Marketing und Verkauf bei Le Shop: «Jeder zweite Neukunde von uns ist durch einen Freund empfohlen worden.»
Community-Elemente auf der Firmen-Website und vor allem eine Präsenz auf Facebook gewinnen auch für Unternehmen ohne Online-Shop an Bedeutung. Das Netzwerk - mit rund 600 Mio. Mitgliedern ein eigener Kontinent im Internet - dient als Schaufenster für die Markenpflege, Produktewerbung und den Kundendialog.
Der E-Commerce-Report 2011 der Fachhochschule Nordwestschweiz kommt zum Schluss, dass Social Media auf dem besten Weg sei, die Kommunikation zwischen Unternehmen und Konsumenten grundlegend zu verändern. Viele Firmen sehen jedoch noch keinen zählbaren Nutzen von Facebook. Für den Experten Thomas Lang geht es aber nicht um die Frage, was ein Engagement am Abend in die Kasse bringt, sondern darum, ob man es sich noch leisten kann, auf dem riesigen Marktplatz der sozialen Medien nicht präsent zu sein.

Verlockende Angebote gleich um die Ecke

Viele Marktbeobachter sehen ein grosses Potenzial in der Verknüpfung von mobilem Shopping und Social Commerce. Die Lokalisierungs-Funktion von Smartphones erlaubt, Kunden unterwegs auf Angebote hinzuweisen, die gleich um die Ecke zu finden sind. Groupon Now! heisst der Dienst des Gutschein-Marktführers, der über eine Handy-App genutzt wird.
Das Schnäppchen-Portal sucht auch Kooperationen mit sozialen Netzwerken, die standortbasierte Dienste anbieten. Deren Mitglieder informieren sich gegenseitig über ihren momentanen Standort, der vom Handy registriert wird. Mit dem Marktführer Foursquare ist Groupon im Gespräch, mit deren Konkurrentin Loopt besteht eine Zusammenarbeit.
Auch in der Schweiz wird die mobile, Schnäppchenjagd in naher Zukunft möglich sein. So will Dein Deal laut Aussagen ihres Chefs Amir Suissa noch in diesem Jahr einen entsprechenden Dienst lancieren.
In einigen Ländern nutzt auch Facebook die Lokalisierung über die Funktion Places. Die Handy-App zeigt den Aufenthaltsort von Freunden an wie auch in der Umgebung angebotene Facebook-Deals. Noch stimulierender werden Deals, wenn auch das Handy als Portemonnaie dient. So können Groupon-Kunden über einen Strichcode auf der Handy-App vom Händler identifiziert und ihre Kreditkarten belastet werden.
Google seinerseits hat kürzlich seinen Zahlungs-Service Wallet vorgestellt, der mit Nahfunk-technik ausgestatteten Handys erlaubt, im Laden drahtlos zu bezahlen, was Googles Gutschein-Dienst Offers aufwertet.

Von Claude Settele

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